Das Reitschulkino präsentiert: Wahnsinn und Gesellschaft


Das Reitschulkino präsentiert: Wahnsinn und Gesellschaft

Die Geburt der Klinik beschreibt Michel Foucault als Teil eines epochalen Trennungsprozesses, in der sich die Vernunft vom Wahnsinn lossagte: «Es bleibt nur die ruhige Gewissheit, dass der Wahnsinn zum Schweigen gebracht werden muss». Mit der im 19. Jahrhundert einsetzenden psychiatrischen Klassifikation wurde gleichzeitig eine Sprache entwickelt, die es erlaubte, ein Symptom –widerspenstiges Zwinkern – wie ein Exemplar einer biologischen Spezies zu erfassen. Die grossen Kataloge des Wahnsinns wie das DSM, die auch heute im Umgang mit seelischen Gebrechen wegweisend sind, verdecken aber die Tatsache, dass die Grenzziehung zwischen Wahn und Norm gesellschaftliche und politische Dimensionen hat.

Die Filmreihe im KINO in der Reitschule schlägt im April einige Perspektivenwechsel vor: Mit dem Motto «Krankheit als Waffe» steht die Geschichte des Sozialistischen Patientenkollektivs – geschildert in SPK Komplex – beispielhaft für den Kampf gegen Stigmatisierung von Krankheit und Verletzlichkeit. Auch der italienische Doku-Klassiker Matti da slegare ist ein Plädoyer für die «antipsychiatrische» Bewegung – gegen Verwahrlosung und Unmündigkeit in psychiatrischen Anstalten der 70er Jahre. In einer Ausgabe zum Thema zeigt das EthnoKino mit Descending with Angels hingegen, dass die Psychiatrie eine Institution westlicher Prägung ist, die mit aussereuropäischen Vorstellungen von Wahnsinn im Konflikt steht.

Während Frauen, die Gewalt erlebt haben in Dialogues with Madowomen von ihrem darauffolgenden psychischen Leid erzählen, schliessen sich im Kammerspielfilm Men don’t Cry bosnische Kriegsveteranen in eine Selbsthilfegruppe zusammen, um ihre traumatischen Erinnerungen aufzuarbeiten. Wahnsinn erschient hier nicht als Abnorm, sondern als verständliche Reaktion innerhalb patriarchaler Strukturen.

Der Tagebuchfilm Days of Madness ist Gesellschaftskritik und Selbst-Therapie zugleich. Die Protagonisten filmen sich selber beim schwierigen aber zuletzt befreienden Prozess der Absetzung von Psychopharmaka. Einblick in jüngere psychiatrische Verfahren gibt auch der Dokumentarfilm 12 Tage und weist auf die Zeitspanne hin, welche seit einigen Jahren Patienten nach einer Zwangseinweisung für eine Anhörung vor Gericht eingeräumt wird. Indessen entzieht sich der Protagonist des Kultfilms Themroc dem unaufhaltsamen Takt der Leistungsgesellschaft um ein Leben als urbaner Höhlenmensch zu führen, bis ihn eines Tages die Polizei aus seiner zugemauerten Wohnung entfernen will.

Die Reihe endet mit einem Experimentalfilmblock bestehend aus Kurzfilmen der Künstlerin Anne Charlotte Robertson und vielem mehr!