Gentrifizierung I & II
Buy Buy St. Pauli: Vergammeln lassen, räumen, abreißen, neu bauen, abkassieren? Die Esso-Häuser stehen exemplarisch für einen überall – und nicht nur auf St. Pauli – stattfindenden Verdrängungsprozess. 2009 hat ein großes Immobilienunternehmen die Häuser gekauft, nachdem ihr Vorbesitzer jahrzehntelang seinen Instandhaltungspflichten nicht nachgekommen ist. Die Häuser sollen abgerissen werden und einem stark verdichtetem Neubau weichen. Hinter den angeblich so hässlichen Fassaden der Nachkriegsmoderne-Häuser leben Menschen, die ihr Zuhause lieben: Ihre gemütlich eingerichteten Wohnungen, die gewachsene Kiez-Nachbarschaft, die aufgrund der kleinen Wohnungsgrößen erschwinglichen Mieten. Viele von ihnen haben ihre Wohnungen bezogen, lange bevor es hip und teuer wurde, auf St. Pauli zu wohnen. Und viele von ihnen haben Angst, auf dem angespannten Wohnungsmarkt keine neue Bleibe in ihrem Stadtteil zu finden. Ähnlich geht es den Gewerbetreibenden in den Esso-Häusern: Neue Flächen auf St. Pauli für ihre kiez-typischen Betriebe aufzutun, bedeutet gezwungenermaßen, sich in Konkurrenz zu zahlungskräftigen Gastro-Ketten zu begeben.
Sound & Chaos: Als Produzent ist der New Yorker eine Legende: In seinem BC Studio, welches er mit Hilfe von Brian Eno und Bill Laswell Anfangs der 80er-Jahre in einem leer stehenden Fabrik-Komplex in Brooklyn aufgebaut hat, zeichnet Martin Bisi verantwortlich für die Produktion von Werken von Sonic Youth, Swans, Unsane, Foetus, Dresden Dolls, Cop Shoot Cop, Bill Laswell & Material, Africa Bambaata, John Zorn, The Boredoms, Boss Hog und unzähligen anderen. Zusammen mit Material nahm er für Herbie Hancock den Basis-Track zu dessen Single „Rock It“ auf, die erste kommerzielle Aufnahme mit einem DJ, der das Scratching praktiziert. Der Dokumentarfilm zeichnet mit Interviews und einer Menge von Archivmaterial seine und die Geschichte des BC Studios nach, womit er gleichzeitig eintauchen lässt in die Musik-Geschichte dieser nicht nur in New York sehr produktiven Zeit, mit dem Aufkommen von Hip Hop und verschiedenen Spielarten, Punk ein neues Gesicht zu geben. Der Film entstand nicht zuletzt aus dem Gefühl der Bedrohung heraus, die die fortschreitende Gentrifizierung der einst verrufenen Umgebung der Fabrik-Gebäude darstellt, den Punkt absehbar macht, da er sein während über dreissig Jahren betriebenes Studio wird aufgeben müssen: Zeit, die Geschichte dieses Ortes aufzuzeichnen, nebenbei ein umfassendes Stück Musik-Geschichte vermittelnd – und nahe an den Mann herangehend, der uns durch die Gemäuer führt, in denen so manches Album entstanden ist, das in keiner einschlägigen Plattensammlung fehlen dürfte. Martin Bisi wird bei dieser ersten Aufführung von «Sound & Chaos» in der Schweiz anwesend sein und bereit, Fragen zu beantworten, Gespräche zu führen.